Montag, 30. August 2010

Mainzer Regionalpresse - zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Ich habe das Glück, in einer Stadt zu leben, in der zwei regionale Tageszeitungen erscheinen. In Zeiten starker Konzentration auf dem Pressemarkt ist das nicht selbstverständlich und man sollte meinen, die Konkurrenz belebe das Geschäft.

In Mainz scheint das jedoch nicht der Fall zu sein. Seit Jahren kämpft dort die Mainzer Rheinzeitung mit sinkenden Verkaufs- und Abonnentenzahlen. Betrachtet man die Abo-Zahlen, so sind diese laut IVW in den vergangenen 12 Jahren von rund 10.000 (1. Quartal 1998) auf mittlerweile rund 6.750 (2. Quartal 2010) drastisch gesunken. Die Verkaufszahlen zeigen ein ähnliches Bild (vgl. IVW.de).

Die MRZ rühmt sich ja immer, Vorreiter in Sachen Social Media zu sein. Christian Lindner war letztes Jahr im Rahmen der Vortragsreihe des Fachschaftsrates Publizistik bei uns an der Uni und hat darüber referiert – ein twitternder Chefredakteur, eine Facebook-Seite, Multimediaredakteure und verschiedene Blogs. An und für sich sicher ein zukunftsweisender Weg, sich auf den verschiedenen Kanälen des Social Web rechtzeitig zu positionieren. Die neuste ARD/ZDF-Onlinestudie spricht zwar davon, dass die Euphorie für das „Mitmachweb“ sinke, insbesondere was die aktive Teilnahme betrifft – dennoch sind gerade bei Wikipedia, Videoportalen und sozialen weiterhin starke Zuwachsraten in der Nutzung zu verzeichnen (vgl. Busemann/Gescheidle 2010: 362).

Ich konnte an Herrn Lindners Vortrag an der Uni leider nicht selbst anwesend sein. Denn trotz der wirklich guten Ansätze (Moe´s Blog und Videobeiträge sind super ;-) hätte ich ihn gerne mit einer drastischen Diskrepanz konfrontiert – nämlich die zwischen dem hohen Aktivitätsgrad der Rheinzeitung im Social Web und der aus meiner Sicht völlig Nutzer-unfreundlichen und auch inhaltlich schlechten Webseite:

Abgesehen von der schlechten Benutzerführung werden die meisten Artikel ausschließlich angeteasert – im Sinne von „Den Rest lesen Sie morgen in Ihrer Rheinzeitung“. Anscheinend scheint die Chefredaktion in Koblenz nicht mitbekommen zu haben, dass der Onlineauftritt einer Tageszeitung nicht substitutiv, sondern komplementär zu verstehen ist. Wie man eine gelungene Webseite für eine regionale Tageszeitung erstellt, kann man nach dem Relaunch der Allgemeinen Zeitung (www.allgemeine-zeitung.de) sehen: Übersichtlich, benutzerfreundlich und alle Inhalte sind zu finden. Das hält mich nicht davon ab, mir auch die Printausgabe zu kaufen. Nebenbei fand ich die Ankündigung des Relaunchs äußerst gelungen, als die AZ ihren Mantel komplett in ein Webseiten-Design kleidete.

Bei all den Gedanken über Social Web-Aktivitäten sollte man darüber hinaus auch das Stammprodukt der Printausgabe nicht vernachlässigen. Gestern habe ich in einem Bistro seit ein paar Wochen das erste Mal wieder eine in der Hand. Nach einem kurzen Überfliegen fielen mir auf Anhieb fünf Kleinigkeiten auf, die mal passieren können, aber in der MRZ doch recht häufig vorkommen und in einem redigierten Produkt in der Fülle nicht auftauchen sollten. Beispiele gefällig?

Ich zitiere: S. 3 – Überschrift „Ansturz am Matterhorn“: „Der Mann war aus noch ungeklärten Gründen mehrere Hundert Meter in die Tiefe gestürzt.“ Schreibt man auch nach der Rechtschreibreform klein. S. 13 – Überschrift „Spartak fordert für Fathi 2,5 Millionen“: „Bis vor vier hatte Spartak Moskau nicht einmal die Spielberechtigung für Malik Fathi zurückgefordert.“ Was? Bananen, Kartoffeln oder Weinschorlen? S.19 – Überschrift: „„Satan“ und „Erzengel“ schlagen um sich“: „Drei Stunden später viel Passanten ein 30-Jähriger an der Haltestelle Marienborner Straße auf.“ Vielleicht waren es viele Passanten, denen etwas auffiel. S. 12 – Überschrift „Der Druck wächst“: „Nochmals 90 Minuten ohne erklecklichen Ertrag,…“ – ein gängiges Wort, das jedem geläufig ist. S. 14 – Überschrift „Mainzer Marcel Noack glänzt auf Eternit“: Das Foto erinnert mich an die pixeligen Anfänge von Nintendo´s Mario in den achtziger Jahren.

Ich will nicht in den Krümeln picken – wie gesagt, ich habe die Zeitung nur kurz überflogen und das ist nicht das erste Mal, dass mir solche Flüchtigkeits-Fehler auffallen. Ich befürworte den Zweizeitungs-Kreis in Mainz und hoffe, dass er erhalten bleibt - und die Konkurrenz zwischen den beiden Blättern sich auch qualitativ auswirkt. Gleichzeitig plädiere ich aber auch für etwas mehr Sorgfalt beim Redigieren.

Just my two cents ;-)

4 Kommentare:

Katja, Koblenz hat gesagt…

Hallo Sascha,

ich muss schon aus beruflichen Gründen klugscheißen: "mehrere Hundert" schreibt man durchaus groß - genauer gesagt sind beide Schreibweisen möglich, der Duden empfiehlt aber die Großschreibung.

Ansonsten gebe ich dir aber recht: Es ist traurig, wie grausam mit unserer nicht einfachen, aber schönen Sprache umgegangen wird. Das sehe ich täglich, nicht nur beim Blick in die Rhein-Zeitung. Ich gebe zu, ich hätte was tun können, ich wurde nämlich angefragt, ob ich im Lektorat mitarbeiten möchte. Als ich den angebotenen Stundensatz erfahren habe, musste ich angesichts der Tatsache, dass ich Miete, Versicherungen etc. zahlen muss, dann doch verzichten ...

Grüße aus Koblenz
Katja

Ben hat gesagt…

Ich teile deine Meinung, dass die Seite der Rhein-Zeitung nicht die schönste ist. Allerdings finde ich die der AZ ebenso wenig gelungen.

Das Fehler gemacht werden, ist menschlich. Mach dir aber mal den Spaß und schau bei der AZ genauer hin. Da sind auch immer mal wieder Fehler zu finden. Vor allem beim Sport gibt es immerhier und da Patzern. Zuletzt hieß der Mainzer Torhüter mit Vornamen plötzlich Hans (oder so ähnlich) statt Heinz. Kann passieren, klar.

Ich finde die RZ eben genau dadurch sympatischer, dass Sie aktiv im Netz vertreten ist. Das hat die AZ noch lange nicht verstanden.

Gruß
Ben

KonfiSan hat gesagt…

@Sasch: Vollkollen dàccord!

@Ben: Das es überall zu Patzern kommt ist klar, dass hat aber weniger mit dem zu tun, was hier gebloggt wurde. Das ein Heinz mal Hans heißt, kann immer mal passieren, selbst beim Heinz aus Mainz ist das möglich.

Hier ging es doch eher um grundsätzliche Probleme, dass z.B. das anteasern der RZ einfach benutzerunfreundlich ist. Bei der AZ ist das besser gelöst (wie Sach schon ausführte).

Das die Social Media-Aktivitäten bei der RZ besser sind, darüber brauchen wir nicht zu reden, da liegt bei der AZ noch einiges im argen und wird sich in absehbarer Zeit auch nicht ändern! Dort fehlt halt jemand wie der Herr Lindner...

Sasch hat gesagt…

@ Ben: Klar sind Fehler menschlich. Ich bin ja nur der Meinung, dass sie bei der MRZ recht häufig auftauchen. Hinzu kommen so völlig gefärbte und offensichtlich gekaufte Artikel wie der hier http://www.rhein-zeitung.de/regionales_artikel,-Ueberholmanoever-auf-B49-Kloeckner-haengt-Beck-ab-_arid,130815.html

Ich befürworte die Social Media Aktivitäten, aber bemängel die Diskrepanz zwischen diesen fortschrittlichen Strategien und dem wirklich schlechten Internet-Auftritt auf der Webseite.

@ KonfiSan - stimme Dir auch voll zu

Liebe Grüße Sasch